Die zerrissene Fußball-EM

Von Wolfgang Nagorske

Als der 19-jährige englische Nationalspieler Bukayo Saka am Sonntagabend im Londoner Wembley-Stadion seinen Elfmeter verschoss, wurde Italien Europameister. Seit 55 Jahren wartet das Mutterland des Fußballs auf einen Titel und muss nun weiter warten und hoffen. Damals vor 55 Jahren bezwang England im Finale der Fußballweltmeisterschaft 1966 in London Deutschland nach einem höchst umstrittenen Tor in der Verlängerung. Diesmal gab es diese Begegnung bereits im Achtelfinale und die Briten gewannen gegen eine vollkommen desolate deutsche Mannschaft hoch verdient mit 2:0. Der englische Trainer wählte in seiner Analyse für den Sieg einen mehr als zerrissenen Vergleich. Er bezog sich auf den 2. Weltkrieg und sagte: „Es haben auch Leute versucht, bei uns einzufallen, und wir hatten den Mut, uns dagegen zu wehren. Man kann nicht verhehlen, dass die Energie im Stadion gegen Deutschland teilweise daher kam. Ich habe es nie gegenüber den Spielern erwähnt, aber ich weiß, dass das dabei auch eine Rolle gespielt hat." Statt friedliches Fußballfest fielen nach über 80 Jahren wieder „Bomben“ und marschierten „Stahlhelme“. Zerrissen war in Anbetracht der noch nicht besiegten Pandemie auch der Austragungsmodus der UEFA. Die Spiele der EM fanden in elf Ländern statt. Die intensive Reisetätigkeit der Mannschaften rief bei vielen Fußballexperten nur ein Kopfschütteln hervor, noch mehr das Ultimatum, dass alle Spiele vor Zuschauern stattzufinden haben, sonst drohte der Spielentzug. So spielte man vor 15-20 000 Zuschauern, in Budapest und London füllten 60 000 Fans die Arenen, während die Olympischen Spiele in zwei Wochen in Japan ohne Zuschauer über die Bühne gehen. Ein zerrissenes Bild gab auch die deutsche Nationalmannschaft ab. Man kann Spiele verlieren, aber dann nach großem Kampf. Als die deutschen Kicker ihre Trikots auszogen, klebte daran vermutlich kein Tropfen Schweiß. Zu diesem zerrissenen Auftritt passte auch der Bundestrainer. Spieler, die Weltmeister wurden, suspendierte er, um sie dann wieder zu begnadigen. Kaum zu glauben, dass Deutschland sich bis zum Sommer 2018 noch Weltmeister nennen durfte.


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