Immer weniger offene Worte

Von Wolfgang Nagorske

Was nicht erst seit dem Ausbruch der Pandemie offensichtlich wurde, sondern bereits schon Jahre zuvor in der Gesellschaft schwelte, brachte nun auch eine Studie des renommierten Allensbach-Instituts ans Tageslicht: Viele Deutsche vermeiden offene Worte. Das klingt nach Resignation. Menschen, die eine andere Vorstellung von der Lösung aktueller Probleme haben, erleben wie wenig andere bereit sind, andere Meinungen zu respektieren. Wer in der Pandemie andere Gedanken äußert als die Bundeskanzlerin, als der Kanzleramtsminister oder Professor Karl Lauterbach, der wird mit hoch gezogenen Augenbrauen in eine für sein Ansehen gefährliche Ecke abgestellt. Wobei das Etikett des Querdenkers noch die unbedenklichste ist. Spürbar wurde diese undifferenzierte Betrachtung bereits während der Flüchtlingskrise. Wer den Zustrom von rund zwei Millionen Menschen in einer relativ kurzen Zeit von wenigen Monaten, als nicht zu bewältigen einschätzte, der bekam das Diktum von „Wir schaffen das“ entgegengestellt. Mehr noch. Sind jene Warner vielleicht nicht sogar ausländerfeindlich? Von hier ist es nicht mehr weit bis in die rechte Ecke. Mit dem Abstand von fünf Jahren wissen wir, wir haben es nicht geschafft, Millionen Menschen, aufgewachsen in anderen Kulturen, in unsere demokratische Grundordnung zu integrieren. Woher rührt die übertriebene Wachsamkeit vor einer anderen Meinung und wohin führt das letztendlich? Der erste Teil der Frage ist schwer zu beantworten. Der zweite Teil schon eher: Es führt dahin, das immer weniger Menschen im Gespräch mit immer weniger Menschen offene Worte und Meinungen austauschen und dabei das Gefühl des gegenseitigen Respekts verspüren. Die Allensbach-Studie hat das bestätigt.


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