Unwürdiger Poker um den Mindestlohn

Von Wolfgang Nagorske

 

Was hat es vor fünf Jahren nicht für dramatische Horrorszenarien gegeben, als der Mindestlohn in Deutschland zum 1. Januar 2015 eingeführt wurde. Der Mindestlohn führe die deutsche Wirtschaft in den Abgrund, es drohen massenhafte Entlassungen, hießen die gängigsten Schlagzeilen. Und auch: Der Sozialismus klopft an die Tür der Marktwirtschaft. Nun, fünf Jahre später sieht die Realität anders aus. Die deutsche Wirtschaft erklomm Jahr für Jahr neue Höhen, die Arbeitslosigkeit sank auf den niedrigsten Stand nach der Wiedervereinigung und vom Einmarsch des Sozialismus kann keine Rede sein. Dennoch: Immer wenn der Mindestlohn alle zwei Jahre neu festgelegt wird, wiederholt sich die gleiche Prozedur wie vor fünf Jahren mit den nahezu identischen Schlagzahlen. Man soll nun nicht glauben, dass der Mindestlohn in diesem Zeitraum Quantensprünge vollzogen hat. Betrug er bei seiner Einführung 8,50 € je Stunde, stieg er bis Ende 2019 auf 9,19 €. Seit Beginn des Jahres beträgt er 9,35 €. Er steigt also um 16 Cent, um ganze 16 Cent. Kaum zu glauben, das 16 Cent dunkle Wolken am Wirtschaftshimmel aufziehen lassen. Diese 16 Cent war der Kompromiss auf den sich die Mitglieder der so genannten Mindestlohnkommission einigten. In dieser Kommission sitzen Vertreter von Gewerkschaften und Arbeitgebern, die sich von Wirtschaftswissenschaftlern beraten lassen. Die Gewerkschaftsseite betrachtet den Mindestlohn als die unterste Grenze bei Lohnverhandlungen. Tatsächlich haben Branchenverbände höhere Mindestlöhne vereinbart, an die sich aber nicht alle Unternehmen halten wollen. So soll der Mindestlohn auf dem Bau auf 12,55 € steigen. Es tritt dann der Zustand ein, dass auf einer Baustelle, von verschiedenen Unternehmen unterschiedliche Löhne gezahlt werden. Das unwürdige Spiel geht weiter.


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