So einfach ist es nicht

Von Wolfgang Nagorske

 

Alle Jahre wieder zwischen dem Tag der deutschen Einheit und dem Mauerfall ziehen Politiker und Medien Bilanz über den Stand der deutschen Einheit. In diesem Jahr fiel die Bestandsaufnahme sehr ernüchternd aus. Schließlich hatten die Brandenburger und Sachsen bei den Landtagswahlen der AfD einen gehörigen Stimmenzuwachs beschert, was auch bei den Landtagswahlen Ende des Monats in Thüringen zu erwarten ist. Warum das so ist, streiten Politiker und Historiker in Ost und West je nach politischem Standort. Dabei gibt es durchaus nachdenklich stimmende Erklärungen. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ titelte „Dreißig Jahre friedliche Revolution und keiner geht hin“ und stellt die Frage, warum sich die Ostdeutschen eigentlich so wenig für ihre Befreiung von der Diktatur interessieren und gibt sogleich die Antwort: „Weil sie sich der eigenen Vergangenheit nicht stellen wollen“. Dahinter steht die Aussage, dass im Gegensatz dazu die Westdeutschen die NS-Vergangenheit aufgearbeitet hätten. Mal abgesehen davon, dass Nazi-Regime und DDR-Regime nicht vergleichbar sind, steht die Behauptung über die erfolgreiche Aufarbeitung der NS-Zeit auf wackeligen Füßen. Es sind nicht wenige, hochrangige NS-Diener nahezu nahtlos zu hochrangigen Staatsdienern der Bundesrepublik mutiert. Hans Globke verfasste als Jurist im Nazi-Innenministerium die schäbigen Nürnberger Rassengesetze, die den Holocaust einleiteten. Danach war er zehn Jahre Chef des Bundeskanzleramtes unter Kanzler Adenauer. Kurt-Georg Kiesinger trat wenige Tage nach der Machtergreifung von Hitler in die NSDAP ein, brachte es bis ins Auswärtige Amt und leitete bis 1945 die Rundfunkanstalt unter Goebbels. Das hat ihm nicht geschadet, von 1966 bis 1969 wurde er Kanzler der Bundesrepublik. Von 241 Diplomaten im Reichsaußenministerium sind nach dem Ende der Nazi-Diktatur 133 von ihnen in den auswärtigen Dienst der Bundesrepublik gewechselt. Aus jenem Ministerium, dessen Chef Joachim von Ribbentrop war, der im Nürnberger Prozess zum Tode verurteilt wurde. So ganz erfolgreich verlief die westdeutsche Diktaturaufbereitung also nicht. Die Menschen im Osten haben das SED-Regime gestürzt, auf dem Siegertreppchen stehen aber die Westdeutschen. Die Ostdeutschen fühlen sich nach der Vereinigung ihrer Lebensleistung beraubt. Mit der Übertragung der westlichen Ordnung auf den Osten, verband sich die Übernahme sehr vieler, vor allem führender Positionen durch westliche Kräfte. Rundfunk, Fernsehen, Presse wurden komplett übernommen. So einfach ist es nicht mit der Aufarbeitung von Diktaturen.


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