Fragen in Zeiten von Wahlen

Von Wolfgang Nagorske

 

In zwei ostdeutschen Bundesländern wird am 1. September gewählt. In Sachsen und in Brandenburg. Im Oktober folgt dann noch Thüringen. Und im politischen Berlin wird gezittert. Die Parteien der schon längst nicht mehr Großen Koalition befürchten einen massiven Stimmenverlust. Die Christdemokraten und Sozialdemokraten liegen in den aktuellen Umfragen hinter der AFD. Und diese Tatsache wird nun in politischen und medialen Debatten heftig diskutiert. Wie kann es sein, dass die AFD gerade in den ostdeutschen Ländern so stark geworden ist, wo doch seit der Wiedervereinigung soviel Geld aus dem Westen hierher geflossen ist? Das Geld floss hauptsächlich über die Treuhandanstalt, die eigentlich den Auftrag hatte, die in der Tat in weiten Teilen nicht wettbewerbsfähige DDR-Wirtschaft zu sanieren. Doch saniert wurde vergleichsweise wenig, überwiegend wurde abgewickelt. Die Folge: Über zwei Millionen gut ausgebildete junge Leute wanderten in den Westen ab, weil es im Osten nichts mehr für sie zu tun gab. Dörfer verödeten und in den Städten fehlte Kaufkraft für die verbliebenen Angebote von Handelsunternehmen und des Mittelstandes. Diese Abwärtsspirale drehte sich gut 20 Jahre lang. Der danach einsetzende leichte Aufschwung ist noch äußerst fragil und nicht wenigen Gefahren ausgesetzt. Die Treuhand wird heute, übrigens nicht nur im Osten, als eine Anstalt charakterisiert, die Wirtschaftskriminalität in großem Stil begünstigt hat. Die Menschen im Osten haben das SED-Regime gestürzt, auf dem Siegertreppchen standen aber die Westdeutschen. So hatten sich viele Sachsen und Brandenburger die Einheit nicht vorgestellt. Auch viele Künstler nicht, denen nicht selten ihre Staatsnähe auf die Stirn geklebt wurde. Erwin Strittmatter sagte einmal: „Meine Bücher sind in über 40 Sprachen übersetzt worden, nur nicht in das westdeutsche.“ Und auch bildende Künstler von Weltrang wie Werner Tübke, Arno Rink oder Willy Sitte sind so gut wie gar nicht in großen Galerien von Hamburg bis München zu sehen. Die Ostdeutschen fühlen sich ihrer Lebensleistung beraubt und sind von Christdemokraten und Sozialdemokraten enttäuscht. Wenn sich Teile der Wähler nun der AFD zuwenden, ist das eigentlich nicht so schwer zu verstehen. Und wenn ihnen dann noch das Etikett der Nähe zum Rechtsextremismus angeheftet wird, bringt es das Fass zum Überlaufen.


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