Vor 65 Jahren: Deutschland ist Weltmeister

Von Wolfgang Nagorske

 

Als am späten Nachmittag des 4. Juli 1954 im Berner Wankdorfstadion der britische Schiedsrichter William Ling das Endspiel um die Fußballweltmeisterschaft abpfeift, elektrisierte die Stimme des legendären Rundfunkreporters Werner Zimmermann eine ganze Nation. Sein „Deutschland ist Weltmeister“ verbreitete sich von den Lautsprechern der Rundfunkempfänger in Windeseile durch das ganze Land. Noch heute gilt jenes Spiel vor 65 Jahren als das Wunder von Bern. Die ungarische Elf hatte seit vier Jahren kein Spiel verloren und wurde 1952 in Helsinki Olympiasieger. Ein Jahr später besiegte Ungarn im Londoner Wembleystadion auch die englische Mannschaft, die auf der Insel in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts nicht ein einziges Spiel verloren hatte. Die Ungarn gewannen nicht nur, sie deklassierten das Mutterland des Fußballs mit 6:3. Und gegen jene Wundermannschaft um Ferenc Puskas und Nandor Hidegkuti stand Deutschland zum ersten Mal in einem Endspiel um die Weltmeisterschaft. In der Vorrunde verlor Deutschland mit 3:8 und nach zehn Minuten führten die Ungarn im Endspiel bereits mit 2:0. Die Weltmeisterschaft schien entschieden. Doch mit zwei Toren bis zur Halbzeit nahm das Wunder seinen Lauf. Es wurde vollendet als der Ruhrpott-Fußballer Helmut Rahn sechs Minuten vor Schluss das Siegtor zum 3:2 erzielte. Deutschland ist Weltmeister. Neun Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges umwehte diese Weltmeisterschaft auch eine politische Dimension. In europäischen Medien war zu lesen, wenn auch unkommentiert, dass in der deutschen Elf fünf Spieler standen, die zehn Jahre zuvor in der Wehrmacht kämpften. Der damalige DFB-Präsident Peco Bauwens soll sich sogar zu Äußerungen hingerissen haben, dass Deutschland auf dem Fußballfeld den Sieg errungen hat, der uns auf den Schlachtfeldern versagt blieb. Diese Misstöne konnten die überschäumende Freude im Land nicht trüben. Es war, als hätte eine Nation sein Selbstwertgefühl wieder gefunden. Man sagte, dieser Tag war der eigentliche Gründungstag der Bundesrepublik. Und die Ungarn? Die Niederlage löste in Budapest Unruhen aus, nicht im Zorn auf die Spieler, sondern als Protest gegen das stalinistische Regime. Zwei Jahre später wurde die Revolution niedergeschlagen. Die Ballkünstler Puskas, Koscics und Czibor spielten noch viele Jahre in Spanien. Eine solche Mannschaft hat es in Ungarn nie wieder gegeben.


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