Wann wird man je verstehn

Von Wolfgang Nagorske

 

Nun Emil Nolde. Einer der größten Maler des Expressionismus ist ins Zwielicht geraten. Seine Nähe zum Nationalsozialismus war offenbar doch enger, als bisher bekannt. Obwohl seine Kunst ab 1937 als entartet galt, blieb er in seinem Bekenntnis der Verehrung für Hitler und Goebbels ungebrochen. Eine gespaltene Persönlichkeit. Wie kann jemand ein Regime verehren, das seine Kunst als minderwertig und nicht zeitgemäß diffamierte? Eine nicht neue Frage stellt sich wieder in den Raum. Kann das Werk eines Menschen von seiner politischen Einstellung getrennt werden? Oder verdunkelt gerade seine Verherrlichung eines faschistischen Regimes seine künstlerische Einzigartigkeit? Zerstört die Anbiederung an die Herrscher der Nazizeit ein grandioses künstlerisches Gesamtwerk? Diese Fragen soll jeder für sich beantworten. Die Bundskanzlerin verbannte ihr Nolde-Bild aus dem Amt. Eines sollte dabei nicht außer Betracht bleiben: Das Naziregime war in seiner Brutalität bisher unbekannt und, so zeigt es die Geschichte, nicht jeder ist zum Widerstand geboren. Wäre uns ein Nolde lieber, der als kommunistischer Widerstandskämpfer im KZ den Tod gefunden hätte? Anbiederung ist eine menschliche Eigenschaft, die es zu allen Zeiten gegeben hat und vermutlich auch weiterhin geben wird. Wir beobachten sie auch in sicheren, demokratischen Verhältnissen, wo man nicht unbedingt ein Märtyrer sein muss. Und wir vermissen eine annähernde Gleichbehandlung mit anderen Persönlichkeiten der Zeitgeschichte. Hans Globke verfasste als Jurist im Nazi-Innenministerium die schäbigen Nürnberger Rassegesetze, die den Holocaust einleiteten. Danach war er zehn Jahre Chef des Bundeskanzleramtes unter Kanzler Adenauer. Kurt-Georg Kiesinger trat wenige Tage nach der Machtergreifung von Hitler in die NSDAP ein, brachte es bis ins Auswärtige Amt und leitete bis 1945 die Rundfunkanstalt unter Goebbels. Das hat ihm nicht geschadet, von 1966 bis 1969 wurde er Bundeskanzler. Dem Kanzler Helmut Schmidt erging es anders. Jüngst wurde sein Bild an der Bundeswehr-Universität abgehangen. Sein Vergehen: Er trug die Wehrmachtsuniform. Wann wird man je verstehen.


Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.