Nachklang von Irmgard Lydia Eisner

Was für ein Buch liegt vor uns? Ist es ein Liederbuch? Sind es Anekdoten eines geschichtsreichen Lebens? Auf jede Frage ließe sich mit einem Ja oder auch einem Nein antworten. Und so kommt die Aussage: „Ein Geschichten erzählendes Liederbuch“ dem Anliegen der Autorin wohl am Nächsten. Oder sind es doch Lieder, die in ihrer Unvergänglichkeit gesellschaftliche Umstände mit dem Alltagsleben der Menschen verknüpfen?
Es sind Lieder, die in der Kirche gesungen wurden oder von Burschen auf der Wanderschaft und an Stammtischen, Liebeslieder und Scherzlieder, Melodien von Ideologien durchtränkt und ja, auch Lieder aus mörderischen Zeiten. Irmgard Eisner erzählt zu jeder Melodie eine Geschichte, ihre Geschichte, wie sie sie erlebt und erlitten hat. Wer 1941 im schlesischen Breslau zur Welt kam, hat nur wenige Erinnerungen an die Stadt seiner Geburt.

Nur drei Jahre später hat sich das einstige „Venedig des Ostens“ in eine Schutt-und Ruinenlandschaft verwandelt. Hier war kein Bleiben mehr. An der Hand der Mutter ging es fort vom Oderstrand, Richtung Westen. Jeden Tag zehn oder auch mal zwanzig Kilometer. Geschlafen in den Armen der Mutter, oder wenn auch die Mutter erschöpft war auf einem voll gepackten Handwagen. Die Füße trugen sie bis nach Zittau. In der Stadt an der Neiße drängten sich tausende Flüchtlinge aus Schlesien und dem Sudetenland. Alte und junge Frauen mit ihren Kindern und alte Männer, die jungen Männer fehlten. Sie mussten in den Krieg.
Als sie ein halbes Jahrhundert nach dem Tod ihres Vaters sein Grab auf einem französischen Soldatenfriedhof im Elsass wieder fand, fliehen ihre Gedanken in Windeseile zurück in jene Zeit, wo Menschenleben so billig waren wie Brombeeren. Weiße Steinkreuze in langen Reihen soweit das Auge reicht, umgeben von hügeligen Weinbergen. Wie habt ihr gelebt, Soldaten, als ihr noch am Leben wart? Habt ihr den köstlichen elsässischen Wein geschmeckt? Was habt ihr gesungen, wenn es Momente der Ruhe über den Schützengräben gab? Habt auch ihr am Abend gemeinsam vor dem Radio gehockt und das Lied von Lili Marleen gehört? Jene so unglaublich ohrgefällige Melodie von Heimweh, Schmerz, Trennung und Sehnsucht. Ein ganzes Soldatenleben in fünf Strophen. Jenes Lied, das Soldaten beiderseits der Front gesungen haben, Deutsche, Franzosen, Engländer, Amerikaner. Jenes Lied, das die Nazis verbieten wollten, aber nicht mehr verbieten konnten, weil Abend für Abend Hunderttausende deutsche Soldaten drei Minuten der Stimme von Lale Andersen lauschten. Drei Minuten, in denen sie den Dreck und das Sterben des Krieges verdrängen konnten, um sich dann die bange Frage zu stellen, wann bin ich an der Reihe. „Diese Schnulze mit Leichengeschmack“, so der Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels, hatte für die Soldaten einen anderen Sinn. Es war die Hoffnung auf ein besseres Leben im Frieden und ein Wiedersehen mit der Familie. Für Millionen Soldaten erfüllte sich diese Hoffnung nicht.
Jene, die den Granaten und dem Grauen des Krieges entkamen, mussten mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen, das der Gesang der Strophen von der Laterne vor dem großen Tor nach dem Krieg in beiden deutschen Staaten nicht erwünscht war. In manchen Reden war sogar von der Kriegsgöttin Lili Marleen die Rede. Nein, alles andere, aber nicht das. Lili Marleen war keine Kriegsgöttin und Soldaten sind keine Mörder. Sie werden zu Mördern gemacht.
Irmgard Eisners Geschichten erhalten durch die fast schon vergessenen Lieder eine eigene Dynamik, man kann schon sagen eine seltene Faszination.

Das Buch ist in allen Buchhandlungen erhältlich ISBN: 978-3-9817376-1-5 oder über  Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! .


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